Im Laufe ihrer Geschichte hat die germanistische Mediävistik eine differenzierte und weitgehend tragfähige Gattungssystematik entwickelt – mitsamt der zugehörigen Terminologie, die jedoch den Gegenständen (anders als bei den Werkbezeichnungen im Bereich der Neueren Deutschen Literatur) ex post übergestülpt werden musste. Selbst dort, wo, wie etwa im Fall von Märe und Bispel, auf mittelhochdeutsche Lexeme zurückgegriffen werden konnte, führt die literaturwissenschaftliche Verwendung zu einer extremen Verengung der Wortsemantik, die von der zeitgenössischen Literaturpraxis so nicht gedeckt wird. Mittelalterliche Bezeichnungen von Rede und Schrift sind selten distinkt, selten systematisierbar, sie scheinen je akzidentiell eingesetzt zu werden und bleiben in ihrer Semantik auffällig offen, oft geradezu unbestimmt. Stoffe und Stofffindung, Produktion mitsamt rhetorischer Ausgestaltung, Distribution und Rezeption von Literatur werden vielfach metaphorisch umschrieben, unter Rekurs auf divergente Bildbereiche.
Die von Gerd Dicke (Eichstätt), Manfred Eikelmann (Bochum) und Burkhard Hasebrink (Freiburg/ Br.) veranstaltete Tagung stellte sich die Aufgabe, derlei nicht als Mangel einer Literatur zu verstehen, die noch keine systematischen Begriffe von dem hat, was sie tut, sondern die offenkundige Unschärfe der Termini als Indikator einer historischen Differenz zu begreifen, um so einen Ansatzpunkt zu gewinnen, von dem aus die Eigenart mittelalterlicher volkssprachiger Literatur im Blick auf Praxis und Selbstverständnis genauer fokussiert werden kann, im Sinne einer historischen Semantik, die versucht, philologisches Arbeiten mit den Ansätzen der neueren (kulturwissenschaftlich inspirierten) Theoriedebatte zu verknüpfen.
| DOI: | https://doi.org/10.37307/j.1868-7806.2004.03.09 |
| Lizenz: | ESV-Lizenz |
| ISSN: | 1868-7806 |
| Ausgabe / Jahr: | 3 / 2004 |
| Veröffentlicht: | 2004-07-01 |
Seiten 412 - 414
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