Die Studie setzt bei einem doppelten Desiderat an. Mittelalterlich episches Erzählen entspricht nicht unseren modernen Kohärenzerwartungen und wir können den Umstand, dass Geschehnisse, Ereignisketten, Handlungen kausallogisch nur schwach verknüpft sind, bislang nur bedingt erklären. Ein möglicher Erklärungszusammenhang könnte mit der gesteigerten Bildhaftigkeit epischen Erzählens im Mittelalter gegeben sein, denn das epische Erzählen ist räumlich und hochgradig anschaulich: Es ist selbst ikonisch. Der Ansatz dieser Studie verknüpft insofern erzähltheoretische (Genette, Martínez/Scheffel, Stanzel) und bildwissenschaftliche (Bredekamp, Kemp, Schlie, Rimmele) Methodik und er stellt den literarischen Gegenstand, genauer gesagt das hart gefügte Erzählen im „Titurel“ Wolframs von Eschenbach, in den Horizont bildlogischer Muster, die wiederum im Rekurs auf zeitgenössische Bildtypen zu denken sind (Diagramm, Glasfenster, Flügelaltar, Klappbild). Die Studie basiert auf der Annahme, dass ein räumlich anschauliches Erzählen der Spezifik vormoderner Wahrnehmung verhaftet ist, ein diskontinuierliches diskretes Wahrnehmen im zweidimensionalen Raum, das vom wandernden Blick zwischen rechts und links, oben und unten sowie vorne und hinten bestimmt ist. Die Studie versucht zu zeigen, dass Sequenzierungen, szenische und verdichtete räumliche Arrangements nicht nur als ein Neben- oder Nacheinander zu lesen sind, sondern dass sie in ihrer jeweiligen Relationierung bereits bedeutsam aufgeladen sind, dass sie im Sinne eines Bildaktes (Bredekamp) auf den Rezipienten wirken und von diesem im Sinne des Bildvollzugs (Schlie, Rimmele) auch ‚enträtselt‘ werden können.
The study addresses a twofold desideratum. Medieval epic narrative does not correspond to our modern expectations of coherence, and we can only partially explain the fact that events, chains of events and actions have only weak causal links. One possible explanation could be the heightened pictorial nature of epic storytelling in the Middle Ages, as epic storytelling is spatial and highly descriptive: it is itself iconic. The approach of this study thus combines the methodology of narrative theory (Genette, Martinez/Scheffel, Stanzel) with that of visual studies (Bredekamp, Kemp, Schlie, Rimmele) and places the literary object, more precisely the tightly structured narrative in Wolfram von Eschenbach‘s “Titurel”, in the patterns of pictorial logic. These in turn are to be seen in terms of contemporary types of image (diagram, stained glass window, winged altar, folding picture). The study is based on the assumption that a spatially descriptive narrative is rooted in the specifics of pre-modern perception, a discontinuous, discrete perception in two-dimensional space, which is determined by the wandering gaze between right and left, above and below, and front and back. The study aims to show that sequencing, scenic and condensed spatial arrangements can not only be read as a juxtaposition or succession, but that they are already charged with meaning in their relation to each other, that they have an effect on the recipient in the sense of an image act (Bredekamp) and can also be ‘deciphered’ by the recipient in the sense of a creative realisation of the image (Schlie, Rimmele).
DOI: | https://doi.org/10.37307/j.1868-7806.2024.01.02 |
Lizenz: | ESV-Lizenz |
ISSN: | 1868-7806 |
Ausgabe / Jahr: | 1 / 2024 |
Veröffentlicht: | 2024-03-22 |
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