Als Siegmund Kaznelson, seit 1921 Leiter des „Jüdischen Verlags“, zwei Jahre nach Hitlers Machtantritt sein schon bei Drucklegung verbotenes „Sammelwerk“ „Juden im deutschen Kulturbereich“ (1935) konzipierte, wollte er dieses als eine „Schlussbilanz des deutschen Judentums“ verstanden wissen. In diesem Sinne galt auch Robert Weltsch die zweite, nun tatsächlich erschienene Auflage von 1959 als ein „Denkmal für die untergegangene deutsche Judenheit“: „Dieses Sammelwerk“, so Weltsch in der Einleitung, „unternimmt den Versuch eines historischen Rückblicks auf den Anteil, den die deutschen Juden am wissenschaftlichen, künstlerischen, politischen, wirtschaftlichen, kurz: kulturellen und sozialen Leben des deutschen Sprachgebiets bis 1933 genommen haben.“ Das Sammelwerk von Sander L. Gilman und Jack Zipes geht, fünfzig Jahre nach Kriegsende, von einer völlig veränderten Lage aus. Es will alles andere als eine „Schlussbilanz“ sein, alles andere als ein historisierender Rückblick auf die vergangene deutsch-jüdische Kultursymbiose.
Die Herausgeber gehen vielmehr davon aus, daß es eine Kontinuität des kulturellen Schaffens von Juden im deutschen Sprachraum bis in die Gegenwart gibt, und zwar auch und gerade angesichts der Katastrophe, die die Shoah für die europäischen Juden bedeutete. Der Zeitraum, den das Kompendium zur Diskussion stellt, ist deshalb programmatisch zu verstehen: 1096 bis 1996 bedeutet, von den hebräischen Schriften über die rheinländischen Judenverfolgungen während des ersten Kreuzzugs bis zum ungebrochenen kritischen Schreiben der Juden im deutschen Sprachraum – vor allem in Deutschland und Österreich – in der Gegenwart, wie die Herausgeber in der Einleitung deutlich machen: „[…] the Jewish contribution and connection to German culture has never been totally broken, and it is our purpose in the present volume to study the entirety of Jewish writing in German from the Middle Ages through 1996. “ Daß die Tradition eines kritischen jüdischen Schreibens und Denkens fortbesteht und auch in einem noch so sehr veränderten Okzident Gewicht hat, belegen nicht zuletzt die rund 120 Beiträge des Bandes selbst, die auch das in den letzten Jahren gesteigerte wissenschaftliche Interesse für jenes jüdische Schreiben dokumentieren. Die Herausgeber legen ihren Band explizit mit diesem Selbstbewußtsein vor: „In fact, the present volume is, in part, an outcome of a vigorous Jewish cultural renascense in Germany, the concerns by Jews living outside of Germany, and a renewed interest of Germans in all things Jewish.“
DOI: | https://doi.org/10.37307/j.1868-7806.1999.04.17 |
Lizenz: | ESV-Lizenz |
ISSN: | 1868-7806 |
Ausgabe / Jahr: | 4 / 1999 |
Veröffentlicht: | 1999-10-01 |
Seiten 631 - 634
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