In der Mitte des 16. Jahrhunderts hat der schwäbische Graf Wilhelm Werner von Zimmern mit seinem „Vergänglichkeitsbuch“ ein umfangreiches Kompendium spätmittelalterlicher Todesdichtungen (Stuttgart, Württembergische Landesbibliothek: Cod. Donaueschingen A III 54) zusammengestellt, das die Forschung unter dem Titel „Zimmernsche Totentanz-Handschrift“ zwar kennt, aber nur wenig beachtet hat. Dabei ist die dort vorliegende Kombination aus eigenen und fremden, aus zeitgenössischen wie älteren, aus handschriftlich tradierten und in Drukken überlieferten Texten und Bildern gleich in mehrfacher Hinsicht bemerkenswert. So gibt der vom Grafen eigenhändig geschriebene und illustrierte Thesaurus interessante Aufschlüsse über die Konservierung und Aktualisierung älterer Traditionen der ars moriendi (sowie verwandter Texttypen) und über die Formierung von Wissenskulturen im 16. Jahrhundert. Da Wilhelm Werner von Zimmern das von ihm aus Handschriften und Drucken Zusammengetragene konsequent auf seine eigene Person bezieht, ist das „Vergänglichkeitsbuch“ zudem ein interessantes (und in seiner Zeit singuläres) Ego-Dokument, in dem sich das Selbstverständnis des Grafen als Autor, Kompilator, Schreiber und Illustrator bekundet und das darüber hinaus komplexe Strategien der Selbstpräsentation an der Schwelle zur Frühen Neuzeit erkennen lässt. Das „Vergänglichkeitsbuch“ stellt überdies ein höchst eigentümliches Zeugnis der Mediengeschichte dar, das in seiner Stellung zwischen Codex und Frühdruck, zwischen mittelalterlicher Handschriftenkultur und frühneuzeitlicher Gutenberg-Galaxis ein interessantes Schlaglicht auf die auch anderwärts bezeugte sozialpsychologische und frömmigkeitsgeschichtliche Bedeutung handgeschriebener Texte und eigenhändiger Zeichnungen im Zeitalter der sich explosionsartig durchsetzenden Drucktechnologie wirft.
DOI: | https://doi.org/10.37307/j.1868-7806.2009.01.13 |
Lizenz: | ESV-Lizenz |
ISSN: | 1868-7806 |
Ausgabe / Jahr: | 1 / 2009 |
Veröffentlicht: | 2009-04-24 |
Seiten 141 - 144
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