Zur Erotik in der mittelalterlichen Lyrik liegen zwei Duisburger Dissertationen vor, die sich nicht nur durch den behandelten Zeitabschnitt, sondern auch durch Ansatz und Vorgehen beträchtlich unterscheiden. Stefan Zeyen untersucht das erotische Sprechen in der Lyrik um das 13. Jahrhundert unter dem Gesichtspunkt der erotischen Metapher, die er als wesentliche erotische Ausdrucksweise dieser Textgruppe benennt (S. 9). Einem schmalen Forschungsabriß zur Sexualität im Mittelalter folgen Begriffsbestimmungen: erotisches Sprechen ist hier jedes Sprechen über sexuelle Vorgänge, ausgenommen sind Obszönes und die sublimierten Formen des Minnesangs (S. 20). Der zugrundegelegte Metaphernbegriff ist sehr weit und wird nicht von verwandten Formen (Bild, Chiffre, Zeichen etc.) abgesetzt (S. 26).
Die Untersuchung folgt Weinrichs Scheidung von Bildspender und Bildempfänger (S. 22); in der Hoffnung auf kontextabhängige Aufschlüsselung der Metaphern (S. 27) ist der umfangreiche Katalog (S. 31–168) nach Bildspenderbereichen gegliedert: „Natur“, „Menschliche Tätigkeiten“ und „Lebensäußerungen“, „Gegenstände des täglichen Gebrauchs“ sowie „Sonstige Bildspender“. Dem Hauptkatalog folgt eine Auflistung von Euphemismen (S. 169–184), die hier als völlig verblaßte Metaphern (S. 169) verstanden werden. In einem weiteren Kapitel (S. 185–199) werden noch diejenigen Formen erotischen Sprechens aufgeführt, die überhaupt nicht mehr unter den Oberbegriff Metapher zu fassen sind (S. 185), nämlich die eindeutigen Formen des „frechen Griffs“, die eventuell erotisch konnotierten Onomatopoesien und zwei hier „Vexierspiel“ genannte Strophen, welche gezielt Doppeldeutigkeit erzeugen (KLD 29,III; KLD 10,I,3). Spätestens hier wird deutlich, daß – entgegen dem Titel – eine Liste aller Formen erotischen Sprechens des angegebenen Zeitraums angestrebt ist; im Katalogteil war schon gelegentlich zu fragen, ob jedes Wort, das in einem erotischen Satz vorkommt, dadurch schon eine erotische Metapher sei (vgl. S. 137 zu gewern). Das Schlußkapitel, „Ergebnisse und weiterführende Fragestellungen“ (S. 201–225), reißt einige Fragen an, die auf dem Hintergrund der eingebrachten Materialsammlung noch zu behandeln wären. Kleinere gattungsspezifische Differenzen werden festgestellt bei der vor allem quantifizierenden Suche nach verschieden dargestellten Frauen- und Männerrollen (S. 205) und bei der Bestimmung des situativen Kontextes der Lieder in öffentlichen oder nicht-öffentlichen Räumen (S. 212). In einem Teil dieses Schlußkapitels (S. 214–222) wird die wichtige Frage nach Funktion und Einsatzweise der erotischen Metaphern berührt; hier wird auch die Auswirkung verschiedener Aufführungskontexte auf das Verständnis der Metapher erwähnt (S. 220f.).
DOI: | https://doi.org/10.37307/j.1868-7806.1999.03.17 |
Lizenz: | ESV-Lizenz |
ISSN: | 1868-7806 |
Ausgabe / Jahr: | 3 / 1999 |
Veröffentlicht: | 1999-07-01 |
Seiten 461 - 465
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