„Der Ruhm Heinrich von Veldekes bei seinen Zeitgenossen und bei den Nachfahren war groß und ungeteilt“ – ein Befund, der nicht der Forschungsgeschichte gilt, denn die Bedeutung Veldekes für die Literaturgeschichte und für das Verständnis der großen höfischen Romane um 1200 wurde vergleichsweise zögernd erkannt. Eine „angemessene Deutung des ‚Eneasromans‘ im Kontext der entstehenden weltlichen Erzählkunst“, wie sie Dieter Kartschoke 1986 forderte, liegt auch gegenwärtig noch nicht vor. Dieser Umstand jedoch ist eher einer wohlbedachten Vorsicht vor übergreifenden Sinndeutungen anzulasten als wissenschaftlichem Desinteresse. Denn inzwischen haben relevante Forschungsarbeiten die Differenzierung des Blicks auf Veldekes Werk weiter befördert. Thomas Klein führte bereits Anfang der 80er Jahre das sogenannte „Veldeke-Problem“ einer wohlbegründeten Lösung zu. Als eine der grundlegenden Methoden für eine gebührende Bewertung des ‚Eneasromans‘ erscheint nach wie vor der Vergleich mit den Quellen. Für die jüngere Forschung zur Antikenrezeption wären hier die Arbeiten von Hans Fromm zu nennen. Die Untersuchung von Anette Syndikus, die nach den Kategorien fragt, mit denen eine zu Unrecht getadelte Dido eigentlich zu beurteilen sei, beschreitet den Weg der minutiösen Gegenüberstellung mit dem Roman d’Eneas und gelangt dabei zu aufschlußreichen interpretatorischen Gewichtsverlagerungen. Die bald danach erschienene Studie Renate Kistlers, die Veldekes Verhältnis zu Ovid durchleuchtet und sich als Fortführung der Recher¬ches Edmond Farals versteht, stellt die Systematisierungsleistungen Veldekes heraus, seine konsequent aufgebaute Minnelehre und ihre schlüssige Anwendung auf alle Liebesopfer gleichermaßen, auf Dido, Lavinia und Aeneas. Selbst die sogenannte individuelle Position des Lyrikers Veldeke erfährt hier nebenbei eine neue Bewertung.
DOI: | https://doi.org/10.37307/j.1868-7806.1998.01.17 |
Lizenz: | ESV-Lizenz |
ISSN: | 1868-7806 |
Ausgabe / Jahr: | 1 / 1998 |
Veröffentlicht: | 1998-01-01 |
Seiten 116 - 120
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