Poetik und Ethik der kleinen Form: Franz Kafka, Robert Musil, Heiner Müller, Michael Köhlmeier

• Claudia Öhlschläger

Der Beitrag zeigt, dass die Kleine Form der Moderne unter qualitativen Gesichtspunkten der poetischen Erprobung fremder Empfindungs- und Wahrnehmungshorizonte dient, die mit einer Aufmerksamkeit für animalische Reiz-Reaktionsschemata konvergiert. Kafkas Poetik einer Kleinen Literatur, die Fluchtlinien der Signifikanz ausbildet, Roland Barthes’ Lektüre der japanischen Ding-Kultur, die auf eine „Erschütterung des Sinns“ ausgerichtet ist und Carlo Ginzburgs Indizienparadigma, das auf die Aussagekraft des nebensächlichen Details setzt, bilden den theoretischen Rahmen einer ästhetischen Bestimmung von Prosastücken Robert Musils, Heiner Müllers und Michael Köhlmeiers, in denen Handlungs- und Wahrnehmungsweisen von teilweise mediokren Kreaturen in den Vordergrund treten. Die Kleine Prosaform der Moderne transportiert eine Ethik, in der die Bindung des Menschen an das Kreatürliche in einem durchaus irritierenden und verstörenden Licht erscheint.

The article shows that the Small Form in modern literature is used from a qualitative point of view as a poetical test for alien horizons of sensation and perception, which converge with an awareness of animal stimulus-response patterns. Kafka’s poetics of a minor literature, which forms trajectories of significance, Roland Barthes’ interpretations of Japanese material culture, which aims for a “shattering of meaning”, and Carlo Ginzburg’s evidential paradigm, which stresses the importance of small details, constitute the theoretical frame of reference for an aesthetic interpretation of prose texts by Robert Musil, Heiner Müller and Michael Köhlmeier which are centred around modes of perception and acts by partially mediocre figures. The Small Form of modern prose literature conveys an ethics in which the bond of human beings to their own animal existence emerges in an irritating and disturbing light.

Seiten 261 - 279