Lange bevor die Darstellbarkeit des Holocaust und mögliche Konsequenzen für das Erzählen nach demjenigen, was als ‚Zivilisationsbruch Auschwitz‘ bezeichnet wurde, eine breite literarische und kulturwissenschaftliche Debatte ausgelöst hat, legte Ilse Aichingers Roman „Die größere Hoffnung“ ein Zeugnis der zur Verhandlung stehenden Aporien ab. Aichingers Roman reflektiert die mit diesem Bruch verbundene Krise des Bedeutens und weist darauf hin, daß diese Form der Sprach- und Darstellungsreflexion gerade nicht mit einem radikalen Neubeginn gleichzusetzen ist, der in der Diskussion um die Stunde Null zur Debatte stand. Nicole Rosenbergers Studie siedelt Aichingers Roman sowie ihr Frühwerk in diesem Diskussionszusammenhang an und macht unter Einbezug einer kritischen Relektüre der Rezeptionsgeschichte deutlich, daß die Zusammenhänge und die wechselseitigen Bedingungsverhältnisse zwischen Bruch und Kontinuität weitaus komplexer sind, als es die Rede vom Nullpunkt insinuiert. Denn auch dort, wo man sich – wie die Gruppe 47 – in der Gegenwart eines Nachkriegs versammeln will und ein gegen die Verstrickungen der Alten, in die Zukunft gerichtetes literarisches Programm des unmittelbaren, erlebnisorientierten Realismus anstrebt, ist man der Dialektik von Erinnern und Vergessen unterstellt. „Die größere Hoffnung“ folgt dagegen nicht der Illusion eines radikalen Neubeginns, sondern greift bestehende (Erzähl-)Traditionen aus der Bibel, den Mythen und den Märchen auf, um sie für ihre eigene Poetik fruchtbar zu machen. Dieser poetologisch begründete Widerspruch gegen den verordneten Realismus macht Aichinger zur Außenseiterin in der Gruppe 47 und in der deutschen Nachkriegsliteratur, was sich in der Rezeption des Romans widerspiegelt. Aichingers anti-realistische Schreibweise führte zu Mißverständnissen, man warf ihr eine Ästhetisierung und Verharmlosung des Grauens vor, wobei dieser Vorwurf häufig mit einer Kritik an Hermetik und Subjektivismus des Romans verbunden wurde. Diese frühen Einwände gegen die poetische Form von „Die größere Hoffnung“ wurden in seiner Rezeptionsgeschichte mehrfach wiederholt, des weiteren wurde die Transzendierung der empirischen Realität durch deren Anbindung an einen existentiellen Freiheitsbegriff als Verletzung der allgemeinen Sprachregelung über das ‚Unfaßbare‘ in seiner Einzigartigkeit aufgefaßt und damit als Relativierung der Shoah verstanden.
DOI: | https://doi.org/10.37307/j.1868-7806.2000.02.15 |
Lizenz: | ESV-Lizenz |
ISSN: | 1868-7806 |
Ausgabe / Jahr: | 2 / 2000 |
Veröffentlicht: | 2000-04-01 |
Seiten 312 - 315
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