Nach dem Kunst- und Kulturwissenschaftler Aby Warburg und dessen bahnbrechenden Studien zu einem „Gebärdensprechatlas“ ist es im 20. Jahrhundert vor allem der Literaturhistoriker Max Kommerell gewesen, der die Geste und Gebärde als einen nicht mehr wegzudenkenden Gegenstand der Literaturwissenschaft, insbesondere der Dramenforschung, erschlossen hat. Davon zeugen nicht zuletzt die in jüngster Zeit vermehrt publizierten Studien zu Kommerell selbst, etwa von Walter Busch, Paul Fleming, Ulrich Port und Isolde Schiffermüller. Folgt man Kommerell, steht die Geste bzw. die Gebärde, die über einen im Inneren des Menschen stattfindenden Vorgang ungewollt oder gewollt beredte Auskunft gibt, in der Mitte zwischen dem ausgesprochenen Wort und der ausgeführten Tat. Diese Mittelstellung bedeutet jedoch keineswegs, dass Wort und Gebärde säuberlich zu trennen sind. Indem das Wort, im Leben wie im Drama, unlösbar an den Tonfall, den gestischen und mimischen Ausdruck des sprechenden Menschen gebunden ist, lädt es sich selbst mit Kräften auf, die die Kraft zur begrifflichen Bezeichnung, zur verbalsprachlichen Mitteilung transzendieren. Als Ausdruck gliedert sich das Wort in ein „weit über die Sprache hinausreichendes System von Verständigungen, nämlich in das System der Gebärden“ ein. So gesehen behauptet die von Kommerell ins Auge gefasste „Sprachgebärde“ ihren begrifflichen und sachlichen Eigenwert gegenüber einer Gebärdensprache, die die Geste und Gebärde bloß als begleitendes Supplement verbaler Äußerungen versteht.
DOI: | https://doi.org/10.37307/j.1868-7806.2011.04.10 |
Lizenz: | ESV-Lizenz |
ISSN: | 1868-7806 |
Ausgabe / Jahr: | 4 / 2011 |
Veröffentlicht: | 2012-01-11 |
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