Dieses Essay kultiviert den Begriff des literarischen Familienarchivs. Obgleich sich um 1800 die kulturelle Praktik des Nachlasses konstituiert, überdauern Manuskripte oftmals in einerseits unbestreitbar wertvollen, aber andererseits äußerst verlustanfälligen Familienarchiven. Deren Besitzer können – als Erben und Nachkommen eines Schriftstellers oder einer schriftstellerisch tätigen Familie – Zugang zu den Materialien beschränken, nur an privilegierte Akteure weiterreichen und eine generell vom Willen ihres Vorfahrens divergierende Motivation haben, wie mit einem Nachlass zu verfahren ist. Als Fallstudie für ein literarisches Familienarchiv dienen die Goethe-Briefhandschriften auf Schloss Wiepersdorf, die 1835 von Bettina von Arnim als „Goethe’s Briefwechsel mit einem Kinde“ veröffentlicht und 1929 in einer Aufsehen erregenden Auktion versteigert wurden. Ausgehend von Unterlagen aus dem Goethe- und Schiller-Archiv in Weimar, der Staatsbibliothek zu Berlin und der Morgan Library in New York City und verschiedenen Editionsprojekten um 1900 skizziert mein Aufsatz die wechselhafte Provenienz dieser Briefhandschriften von 1858 und bis zur Auktion 1929. Anhand dessen verfolge ich die für das Arnim-Familienarchiv prägenden, nicht immer widerspruchsfreien Motivationen von Bettinas Nachkommen. Im Fokus stehen hierbei verschiedene ‚Hausphilologen‘ (Herman Grimm, Reinhold Steig und Fritz Bergemann), die Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts exklusiven Zugang zum Familienarchiv erhielten. Dadurch rekonstruiert dieser Aufsatz die Dynamiken, die den Zugang zu den Arnim-Goetheana verwehrten, sie zwischen Wiepersdorf und Berlin zirkulieren ließen und deren Verluste den Bestand noch heute prägen.
This essay cultivates the concept of the literary family archive. Even though the cultural practice of the Nachlass (posthumous papers) came into being around 1800, manuscripts often survive in family archives, whose owners – as heirs and descendants of a writer or a writing family – can restrict access to the materials, hand them only to privileged actors and generally have a motivation that diverges from the will of their progenitors as to how these manuscripts should be treated. As a case study for a literary family archive, my article discusses the Goethe letters in Schloss Wiepersdorf which were published in 1835 by Bettina von Arnim as Goethe’s Briefwechsel mit einem Kinde (‘Goethe’s correspondence with a child’) and sold at a sensational auction in 1929. Through documents in the Goethe and Schiller Archive in Weimar, the Berlin State Library and the Morgan Library in New York City and through editorial projects around 1900, my article sketches the erratic provenance of these epistolary manuscripts from 1858 to 1929. On the basis of this example I pursue the motivations of Bettina’s heirs which, while not always without contradictions, proved formative for the Arnim family archive, and I discuss various ‘house philologists’ (Herman Grimm, Reinhold Steig and Fritz Bergemann), who gained exclusive access to the family archive at the end of the 19th and in the early 20th century. In so doing, this article reconstructs the dynamics which restricted access to the Arnim Goetheana, allowed them to circulate between Wiepersdorf and Berlin and whose losses still shape and define the materials to the present day.
| Lizenz: | ESV-Lizenz |
| ISSN: | 1868-7806 |
| Ausgabe / Jahr: | 4 / 2025 |
| Veröffentlicht: | 2025-12-15 |
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